Hegelschule

„Der Rohrstock lag nicht auf dem Pult“  –  Die „Weltliche und Freie Schule“ Hegelstraße (ehem. Kantstraße)

Juni 1921 beantragten Gerther Bürger für damals nur 147 Schüler*innen – neben den bestehenden 4 evangelischen und 3 katholischen Schulsystemen – die Einrichtung einer „Weltlichen Schule“. Die meisten Väter dieser Kinder waren Bergarbeiter der Zeche Lothringen.

Am 13. September 1921 nahm in Gerthe dann die erste weltliche Schule im Stadt- und Landkreis Bochum, die sich lt. Schulstempel offiziell „Bekenntnisfreie Schule – Sammelklassen Gerthe“ nannte, den Lehrbetrieb auf.[i] Diese Schule stand für den pädagogischen Bildungsfortschritt der Weimarer Republik und verfolgte sozialdemokratische Grundsätze. Hier gab es keine Prügelstrafe, die Schule war nicht konfessionell gebunden, Mädchen und Jungen sollten gemeinsam in einer angstfreien Lernatmosphäre „für das Leben und nicht für die Schule lernen“.

Bereits Ostern 1922 hatte sich die Schülerzahl auf 186 erhöht, sodass die Betreiber der Schule eine vierte Klasse einrichten und eine weitere Lehrkraft anforderten. Im Jahr 1923 wurde das System sogar auf 5 Klassen aufgestockt, denn die Schülerzahl war zu diesem Zeitpunkt sogar auf 202 angestiegen. Vermutlich bekam man erst jetzt einen vierten Klassenraum in der benachbarten evangelischen Schule an der Heinrichstraße, um die Raumnot zu lindern.

Wahlplakat der SPD 1924, Entwurf: G. Kretschmar Wahlplakat der SPD 1924, Entwurf: G. Kretschmar (Veröffentlichung für das Kohlengräberland-Projekt genehmigt vom Stadthistorischen Museum Leipzig, 2020)

Erster Unterricht in ehemaliger Kriegsgefangenen-Baracke

Die ersten Klassenräume der Weltlichen Schule befanden sich neben der evangelischen Volksschule an der Heinrichstraße in einer Holzbaracke. Diese war im Ersten Weltkrieg als Unterkunft für Kriegsgefangene genutzt worden und dann im Jahre 1919 von der Gemeinde für Schulklassen umgebaut worden.[ii] Dieses Gebäude war zuvor von der Gerther Mittelschule (später Rektorats-, dann Oberrealschule und schließlich Heinrich-von-Kleist-Gymnasium) genutzt worden, die zum Schuljahr 2023/1924 in den Neubau an der Hegelstraße / Brandenbuschstraße eingezogen war.

Ehemalige Schulbaracke an der Heinrichstraße

Den katastrophalen Zustand des behelfsmäßigen Schulgebäudes schilderte Lehrer Rathert im Juli 1926 in einem Schreiben an den Gemeindevorsteher und die Regierung in Arnsberg:

Lehrer Rathert, Schulleiter der freien u. weltlichen Hegelschule bis 1930

„Die betreffende Baracke ist ein leichter Holzbau und für Schulzwecke auf Dauer ungeeignet. Der Boden besteht aus einfachen und schwachen Dielen und ist fußkalt. Die Außenwände sind mit nichtgefugten Brettern verschlagen, die Kälte und Hitze gleicherweise leicht durchlassen. Die Innenwände lassen von Klasse zu Klasse in störender Weise Unterrichtsgeräusch und -gespräch mithören. Die Wände sind 2,6 Meter hoch. Die Fenster geben infolgedessen ungenügende Belichtung. Bilder, Karten … lassen sich nicht so hoch aufhängen, dass sie für alle Kinder deutlich sichtbar sind. Das Mobiliar von den Klassen ist veraltet …. Lehr- und Lernmittelschränke müssen auf dem Flur und in Klassenräumen untergebracht werden. Zeitweise muss das provisorisch angebaute Lehrerzimmer außer als Lehrmittelzimmer auch zu Unterrichtszwecken benutzt werden.

Die größten Unzuträglichkeiten bestehen aber in gesundheitlicher Hinsicht. In der heißen wie der kalten Jahreszeit herrscht eine dumpfe, unerträgliche Hitze in den Klassenräumen. Die eisernen Öfen (Koksfeuerung) lassen eine gleichmäßige Erwärmung nicht zu; sollen die am Fenster sitzenden Kinder nicht frieren, so müssen sich die in der Nähe des Ofens sitzenden übermäßige Hitze gefallen lassen. In den Übergangsjahreszeiten ist die Kühle empfindlich, die Erwärmung (durch Anfeuern der Öfen) kann aber auch nicht schnell genug erzielt werden. Erfahrungsgemäß ermüden die Schüler in der schnell verbrauchten Luft sehr bald. Auch den Lehrpersonen sollte man den Unterricht in derartig mangelhaften Räumen mit Rücksicht auf ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit nur im dringendstenNotfalle zumuten, der aber hier für die Dauer nicht vorliegt.“[iii]

Schulneubau in der Kantstraße (später: Hegelstraße)

Am 11. Februar 1927 stimmte die Gemeindevertretung dem Bau einer neuen Schule mit insgesamt 6 Klassenzimmern an der Kantstraße (später Hegelstraße) zu.

Bauplan der Hegelschule in Bochum-Gerthe aus dem Jahr 1927 (Foto © Stadt Bochum)

Ehem. „Weltliche und Freie Schule“ in der Hegelstraße, 1937 (Foto © Stadt Bochum)

Das neu errichtete Schulgebäude der fortschrittlichen „Freien und Weltlichen Schule“ in der Gerther Kantstraße wurde am 7. Oktober des Jahres 1928 eröffnet.

Es verfügte – für die damalige Zeit außergewöhnlich – über eine vorbildliche, moderne Ausstattung. Im Erläuterungsbericht des Architekten heißt es hierzu:

„Das gebäude selbst besteht aus Keller- Erd- und Obergeschoss, Zeichensaal, einem Raum für Handfertigkeitsunterricht, 1 Lehrer- und drei Lehrmittelzimmern. Vollkommen getrennt von den eigentlichen Unterrichtsräumen sind im Erdgeschoss die Schulzahnklinik und Bücherei, im Kellergeschoss eine Brausebadanlage für die Schüler, nebst Wannenbäder für das Publikum untergebracht.“ 

Der Bauplan des Kellergeschosses der Hegelschule von 1927 zeigt Dusch- und Baderäume (Foto © Stadt Bochum)

Die öffentliche Bibliothek stand der Bevölkerung zur Verfügung, die Dusch- und Baderäume wurden auch von den Schülern der Oberrealschule genutzt, die zuhause in der Regel höchstens nur einmal pro Woche am „Badetag“ in den Genuss von warmem Badewasser kamen.

 Auch war das neue Schulgebäude die Heimstätte der „Sozialistischen Arbeiterjugend“ sowie der „Roten Falken“.

Auszug aus dem Bochumer Adressbuch von 1932 (Foto Kohlengräberland)

1933  –  Das Ende der Weltlichen Schule

Aus den letzten Jahren liegen nur wenige aktenkundige Informationen über den weiteren Werdegang der Gerther Weltlichen Schule an der Hegelstraße vor. Die Schülerzahl bewegte sich immer um etwa 200, soll in der Blütezeit der Schule im Jahr 1928 sogar auf 260 angestiegen sein. Nach der Auflösung der Volksschule wurden im Frühjahr 1932 die insgesamt 58 Schüler der dort bestehenden zwei Sammelklassen in die Hegelschule gelegt, sodass in jenem Schuljahr die Gesamtschülerzahl 269 betrug.

Hegelschule 1932 – Lehrer Pieper mit seiner Schulklasse (Quelle: Grau, Dieter: „Der Rohrstock lag nicht auf dem Tisch.“ Die Weltliche Schule in Gerthe, Bochum 1980)

Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten war die Schließung der „Sammelklassen“ beschlossen worden. Die Eltern der Gerther „Weltlichen und Freien Hegelschule“ hatten ihre Kinder umgehend umgeschult. Am 31. Juni 1933 teilte die Bochumer Stadtverwaltung der Regierung Arnsberg mit, dass sich sämtliche „Sammelschulen“ der Stadt Bochum „restlos aufgelöst“ hätten.[i]

Gerther Blutkeller“  –  Folterstätte der Gerther SA

Das frei gewordene Schulgebäude an der Hegelstraße wurde mit zwei Klassen der evangelischen Heinrichschule belegt. Die restlichen Räumlichkeiten nutzten fortan die Nationalsozialisten und die Gerther SA (Sturmabteilung der NSDAP). Auch wurden die Räumlichkeiten für die Treffen der örtlichen Hitlerjugend genutzt.

Bereits im Februar / März 1933 wurden die Kellerräume der Hegelschule von der örtlichen SA unter der Führung des NSDAP-Ortsgruppenleiters und späteren Schulleiter de Oberrealschule (später Heinrich-von-Kleist-Gymnasium), Heinrich Hüper, als Folterstätte missbraucht.

Mehr als 50 Systemgegner aus Gerthe, Hiltrop und Bergen wurden dort, im so genannten „Gerther Blutkeller“, auf das Grausamste erniedrigt und schwer misshandelt. Mindestens 6 Todesopfer der Gerther SA sind heute nachgewiesen, unter ihnen Johann Sigl, der Vater eines ehemaligen Schülers der „Freien und Weltlichen Hegelschule“. 

Gedenktafel für die Opfer des NS-Terrors im Gerther „SA-Blutkellers“ (Foto Kohlengräberland, 2025)

U27  –  Freizeit und Stadtteilzentrum seit 1979 

1979 eröffnete die Stadt Bochum in der ehemaligen Hegelschule ein Jugend-Freizeithaus (heute: „Freizeit- und Stadtteilzentrum U27“)

Freizeit- und Stadtteilzentrum U27 in der ehemaligen Hegelschule (Foto © Kohlengräberland, März 2020)

Chroniken und weiterführende ausführliche Informationen zur Hegelschule

Im Folgenden finden Sie ausgewählte Quellen, Dokumente und Archivbilder zur Geschichte der „Weltlichen Schule an der Hegelstraße“ (ehem. Kantstraße bis 1929) in Bochum-Gerthe. Wir danken ausdrücklich den Autoren der Textbeiträge für die Genehmigung der Veröffentlichung auf unserer Kohlengräberland-Homepage. Das Copyright aller Beiträge und Fotos bleibt unberührt, eine Genehmigung zur Veröffentlichung muss im Einzelfall bei Autoren, Urhebern und Archiven beantragt werden.

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Quellenangaben

 [i] Grau, Dieter: „Der Rohrstock lag nicht auf dem Tisch.“ Die Weltliche Schule in Gerthe. Ei Beitrag zur Geschichte des Bochumer Stadtteils; Hrsg. Stadt Bochum, Schulverwaltungsamt, 1990.

[ii] Ibing, Max: Geschichte der Stadtteile Gerthe und Hiltrop, Bochum 1959

[iii] Grau, Dieter: „Der Rohrstock lag nicht auf dem Tisch.“ Die Weltliche Schule in Gerthe. Ei Beitrag zur Geschichte des Bochumer Stadtteils; Hrsg. Stadt Bochum, Schulverwaltungsamt, 1990.

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Dieter Grau: Erziehung in der weltlichen Schule: Funktion und Grenzen, in: Peter Friedemann / Gustav Seebold Struktureller Wandel und kulturelles Leben: Politische Kultur in Bochum 1860 – 1990, (hrsg. für den Bochumer Kulturrat e.V.) 1. Aufl. Essen, Klartext-Verl., 1992

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Dieter Grau: Der Rohrstock lag nicht auf dem Tisch – Die weltliche Schule in Gerthe, in: Schulhistorische Schriften, Heft 2, Schulverwaltungsamt der Stadt Bochum (Hrsg.), Bochum 1990.

 

 

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Heinrich Schulze: Die „Weltliche Schule“ und ihre Geschichte; Arbeitskreis Arbeitende Jugend Bochums vor 1933, VHS / DGB, Rathausplatz 2-6, Bochum (Hrsg.), (Anm.d.Red.: wahrscheinlich Anfang 1980er-Jahre.)

 

 

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