Die Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiter*innen-Lager der Bergbau AG Lothringen in Bochum-Gerthe und -Hiltrop
Ungenügende Dokumentation / Aktenvernichtung
Die Archivbestände zur NS-Geschichte der Bergbau AG Lothringen sind – beispielsweise im Gegensatz zu den Dokumenten des Bochumer Vereins oder der Zeche Constantin der Große – sehr mangelhaft, da viele Aktenbestände der Lothringen-Zechen, eventuell aufgrund der Zerstörung des Bochumer Stadtarchivs im Zuge der Bombardierung des Bochumer Rathauses am 4. November 1944, aber auch durch die unwissentliche oder auch absichtliche Beseitigung von Akten während und vermutlich auch nach dem Krieg, vernichtet wurden. Ehemalige Lothringen-Angestellte konnten als Zeitzeugen davon berichten, dass sie tagelang mithelfen mussten, große Aktenbestände aus dem Zechen-Verwaltungsgebäude vor der Verfüllung in den Schacht der Zeche werfen mussten.
Auch bei der endgültigen Abwicklung durch den Eschweiler Bergwerksverein wurden zu Beginn der 1990er-Jahre die restlichen Aktenbestände in Abfallcontainern bedenkenlos „entsorgt“ und nicht etwa einem Archiv übergeben, wie es sich eigentlich gehört hätte.
Nur wenige Akten und Dokumente der Zeche Lothringen konnten von geschichtsinteressierten Bürgern (beispielsweise Gerd Kivelitz, Mitbegründer des Bochumer Kulturrat e.V.) durch eine private Rettungsaktion vor der Vernichtung bewahrt, katalogisiert und später dem Bochumer Stadtarchiv übergeben werden. Auch eine Anfrage bei der Bochumer Knappschaft ergab, dass die historisch wertvollen Krankenakten von Zwangsarbeitern nicht etwa archiviert wurden, sondern dass diese Dokumente, wie man uns auf Anfrage mitteilte, wie bei allen „normalen“ Kranken-Akten üblich -, nach einer Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren „selbstverständlich“ vernichtet worden seien.
Entschädigungsanträge von Zwangsarbeiter*innen
Diese Tatsache erscheint umso unglaublicher, wenn man bedenkt, dass doch im Zuge der Entschädigungsdebatte um die Wiedergutmachung durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft im Jahre 2000 von den Opfern gefordert wurde, dass sie als ehemalige Zwangsarbeiter*innen nur Entschädigungsanträge stellen durften, wenn sie ihren Arbeitseinsatz während des Krieges selbst durch Dokumente nachweisliches belegen konnten. Erst dann konnten sie die einmalige Entschädigung von 600 DM (!) erhalten.
Nicht zuletzt dem unermüdlichen Einsatz der „Frauen für den Frieden“ und anderen Initiativgruppen seit Mitte der 1980er-Jahre sowie der Mitglieder der Gesellschaft Bochum-Donezk e.V. zu Ende der 1990er-Jahre ist es zu verdanken, dass im Zuge ihrer Kontaktaufnahme mit ehemaligen Zwangsarbeiter*innen aus der Ukraine umfangreiche Nachforschungen zu Lagerstandorten und den menschenverachtenden Lebensbedingungen der Arbeitssklaven angestellt wurden.
Der ehemalige ukrainische Zwangsarbeiter der Zeche Lothringen III, Wladimir Zidelko, kehrte 1994 auf Einladung der Gesellschaft Bochum-Donezk e.V. an den Unrechtsort zurück, zu dem man ihn im Jahr 1942 als 14-jährigen „Ostarbeiter“ gewaltsam deportiert hatte. Auch er hatte sich bei verschiedenen Ämtern zuvor vergeblich bemüht, Nachweise über seine Beschäftigung bei der Zeche Lothringen zu bekommen. Durch die Zeitzeugen-Aussagen von Friedel Högemeier wurde bestätigt, dass eine Mitarbeiterin der Bundesknappschaft dann bei Zidelkos Besuch in Bochum-Gerthe Krankenunterlagen aus dem Knappschaftsarchiv im Keller des ehemaligen Verwaltungsgebäudes der Zeche Lothringen beibrachte, die seine schweren Verletzungen aufgrund eines Arbeitsunfalls belegen konnten.
Ehemalige Zwangsarbeiter*innen zu Besuch / Zeitzeugen-Berichte
Auf Initiative der Gesellschaft Bochum-Donezk e.V. wurde erstmalig Kontakt zu überlebenden Zwangsarbeiter*innen aufgenommen. Bereits im Jahr 1992 folgten die ersten Überlebenden einer Einladung nach Bochum und besuchten die Bochumer NS-Unrechtsorte der Zwangsarbeit. Viele Opfer hatten in bewegenden Briefen zuvor bereits von den menschenverachtenden Arbeits- und Lebensbedingungen in den Lagern berichtet, nun erzählten sie in zahlreichen Zeitzeugen-Gesprächen persönlich von ihrem Leidensweg. Bis 2001 folgten mehrere Besuchergruppen, danach konnte der persönliche Austausch aufgrund des Gesundheitszustandes der hochbetagten Opfer nicht mehr fortgeführt werden.
Ein eindrucksvolles Zeugnis der Qualen im Lager der Zeche Lothringen III legte auch Wladimir Zidelko bei seinem Besuch in Bochum ab. Hier traf er – 50 Jahre später – auf Friedel Högemeier, den er im Krieg als Kind kennenlernte. Die Kohlengräberland-Geschichtswerkstatt interviewte den ehemaligen Bergmann aus Bochum-Gerthe hierzu im Jahr 2019.
Viele der Zeitzeugen-Berichte aus Interviews und Briefen, Fotos, Bilder, und einen Bericht über das Besuchsprogramm wurden im Jahr 2002 in dem Buch Und die Erinnerung tragen wir im Herzen – Briefe ehemaliger Zwangsarbeiter 1942 – 1945 dokumentiert.
Im Jahr 2005 folgte die Veröffentlichung “Doch seht, wir leben Vom inneren Wider-stand. Zwangsarbeit 1939 – 1945“ (Rieck, Heide [Hrsg.], Geest-Verlag, 2005)
Diverse unvollständige Lagerlisten
Lange Zeit ging man im Wesentlichen aufgrund der „Lagerliste des Ernährungsamtes der Stadt Bochum vom 28. Sept. 1942“ und der „Lagerliste des NSDAP-Kreisleiters Riemenschneider vom 14. Juli 1943“, die dem Stadtarchiv Bochum vorlagen, davon aus, dass es im Stadtgebiet lediglich ca. 100 Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiter*innen-Lager gab. Schon seit den 1980er-Jahren wurden immer wieder Nach-forschungen beispielsweise vom VVN-BdA Bochum und dem Kinder- und Jugendring Bochum e.V mit dem Ziel angestellt, die vermutlich unvollständigen Lagerlisten zu komplettieren. Aufgrund dieser Nachforschungen ergab sich seinerzeit schon, dass es im Bochumer Stadtgebiet mindestens 120 Lagerstandorte gegeben haben musste.
Kohlengräberland-Initiative für die Kriegsgräber in Gerthe und Hiltrop
Seit 2017 bemühte sich die Kohlengräberland-Geschichtswerkstatt um die Erhaltung und Instandsetzung der Kriegsgräber auf den Städtischen Friedhöfen in Bochum-Gerthe (nähere Informationen unter: https://www.kohlengraeberland.de/steinerne-zeugen-kriegsgraeber-in-bochum-gerthe-und-hiltrop/). Leider konnten wir weder den Informationen der Stadt Bochum zum Schicksal der Zwangsarbeiter noch in dem 2002 veröffentlichten Gedenkbuch der Opfer der Zwangsarbeit in Bochum keinerlei Hinweise auf Lagerstandorte entnehmen, sodass wir im Rahmen unserer Recherchen daher Einsicht in die Bestattungsbücher der Friedhofsämter Gerthe und Hiltrop nahmen und dabei auch auf Todesopfer aus uns bisher unbekannten Zwangsarbeitslagern der Zeche Lothringen stießen.
Neben den wenigen Dokumenten zur Bergbau AG Lothringen aus der Zeit von 1933 bis 1945, die im Westfälischen Wirtschaftsarchiv Dortmund vorhanden sind, nutzten wir auch die Bestände des Bergbau-Archivs des Deutschen Bergbaumuseums in Bochum.
Kohlengräberland-Denkmalschutzantrag für das Lager „Heinrichstraße“
Im Jahr 2018 wurden wir „Kohlengräber“ bei unseren Nachforschungen für den Antrag auf Bodendenkmalschutz für das Gelände des ehemaligen gemeinsamen Zwangs-arbeitslagers „Heinrichstraße“ (eigentlich Castroper Hellweg 365b, bekannt als „Gerther Kirmesplatz“) der Bergbau AG Lothringen und der Eisen- und Hüttenwerke bei den Arolsen-Archives (ehem. ITS Arolsen) fündig. Dieses umfangreiche Online-Archiv mit digitalisierten Dokumenten steht seit einiger Zeit jedem Geschichtsinteressierten zur Verfügung.
Hier fanden wir neben einer Lagerliste der Stadt Bochum aus dem Jahr 1949 sowie zahlreichen Belegschaftslisten der Zeche Lothringen auch die Behandlungslisten des Gerther St. Maria-Hilf-Krankenhauses, die im Jahr 1948 für den ITS Arolsen zusammengestellt wurde.
Diese Behandlungsliste Maria-Hilf-Khs 1939-1945 enthält die Personalien der Zwangsarbeiter*innen, Geburtsdaten, Nationalität und Herkunft, behandelte Krankheiten sowie ihre Lager-Standorte. Diese Behandlungslisten versetzten uns in die Lage, bislang unbekannte Lager-Standorte zu identifizieren und ihre Existenz damit auch beweisen zu können. Auch erhielten wir hierdurch erstmalig einen Eindruck von dem Ausmaß der menschenverachtenden Lebensbedingungen der Lagerinsassen, den gesundheitlichen Folgen der Schwerstarbeit, der Unterernährung und ungenügende Hygiene sowie die hierdurch hervorgerufenen Seuchenverbreitungen innerhalb der Lager im Bochumer Norden.
Am 31. März 2020 wurde das Gelände des ehemaligen Kriegsgefangegen- und Zwangsarbeiter*innen-Lagers aufgrund der Kohlengräberland-Initiative von der Denkmalbehörde schließlich unter Bodendenkmalschutz gestellt, die Stadt Bochum sagte zu, dort zukünftig ein Denkmal zur Erinnerung an die Zwangsarbeiter der Zeche Lothringen zu errichten. (Ausführliche Informationen hierzu finden Sie unter https://www.kohlengraeberland.de/leon-lewandowski-und-die-anderen-zwangsarbeiter-der-zeche-lothringen)
Initiative Gedenkort Lager Bergen / Bochumer Bündnis gegen Rechts
Nahezu zeitgleich mit den Nachforschungen der Kohlengräberland-Geschichtswerk-statt hatten sich engagierte Bürger*innen zur Initiative Gedenkort Bochum-Bergen zusammengefunden, um für die Erhaltung des denkmalgeschützten ehemaligen Zwangsarbeitslagers der Zeche Vereinigte Constantin der Große der Krupp AG in Bochum-Bergen zu kämpfen.
Das „Lager Bergener Straße“ war aufgrund der Einzigartigkeit des Gebäude-Ensembles und seiner Ziegelbauweise im Jahr 2003 unter Denkmalschutz gestellt worden (Siehe hierzu auch die Denkmalkarte zum Lager Gewerkenstraße A615).
Viele der Initiatoren, unter anderen auch Waltraud Jachnow, die Mitbegründerin der Gesellschaft Bochum-Donezk e.V., hatten sich bereits seit vielen Jahren im Bochumer Bündnis gegen Rechts unermüdlich für eine lebendige Erinnerungs- und Gedenkkultur und gegen das Vergessen der NS-Gräueltaten eingesetzt.
Aufgrund der räumlichen Nähe zu den Zwangsarbeitslagern der Zeche Lothringen und den Erinnerungsprojekten der Kohlengräberland-Geschichtswerkstatt in Bochum-Gerthe wurde schon bald eine Kooperation der beiden Initiativen vereinbart, Forschungsergebnisse wurden ausgetauscht.
Stalag VI a Hemer
Bei einer gemeinsamen Exkursion der Kohlengräberland-Geschichtswerkstatt und der Initiative Gedenkort Bochum-Bergen am 18. September 2021 zur Informations- und Gedenkstätte Stalag VI a in Hemer erhielten wir wertvolle Hintergrundinformationen zur Bedeutung der Stammlager. Insbesondere die ausführliche Dokumentation über das Stalag VI a sei hier genannt.
Das Stalag Hemer war, neben dem Stalag VI k Senne / Schloss Holte-Stuckenbrock oder dem Stalag VI d Dortmund / Westfalenhallen eines der Massenlager, aus denen die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter in die Bergbau- und die Stahlindustrie-Betriebe im Ruhrgebiet verbracht wurden.
Wladyslaw Knapik – Ein polnischer Zwangsarbeiter der Zeche Lothringen
Im Juni 2022 meldete sich Maria Jurus aus Sydney (Australien), die Tochter eines ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters der Zeche Lothringen, bei der Kohlengräberland-Geschichtswerkstatt, nachdem sie im Rahmen ihrer eigenen Recherchen zur Biographie ihres Vaters auf unsere Homepage aufmerksam geworden war.
Wladislaw Knapik hatte im Alter von 70 Jahren seine Autobiographie „Die Geschichte meines Lebens“ für seine Familie geschrieben, in der er ein 60-seitiges Kapitel allein seiner Zeit als polnischer Zwangsarbeiter in Bochum-Gerthe gewidmet hatte.
Mitglieder der Kohlengräberland-Geschichtswerkstatt übersetzten seinen Originaltext. Gemeinsam mit seiner Tochter Maria Jurus, die uns zahlreiche Originaldokumente und Fotos aus Wladyslaw’s Privatarchiv zur Verfügung stellte, illustrierten wir seinen „Gerther Lebensabschnitt“ und vervollständigten diesen mit Hintergrundinformationen zu seinen damaligen Lebensumständen und dem Kriegsalltag im Bochumer Norden.
Unter dem Titel „Die Geschichte meines Lebens – Erinnerungen eines polnischen Zwangsarbeiters im Ruhrgebiet“ entstand ein eindrucksvolles Werk, das der geschichtsinteressierten Öffentlichkeit nun auf der Kohlengräberland-Homepage zur Verfügung steht und einen authentischen Einblick in die Lebenswelt eines „polnischen Fremdarbeiters“ der Zeche Lothringen vermittelt.
Im Rahmen unserer Recherchen stießen wir auf Hinweise zu weiteren, bisher unbekannten Lagerstandorte, auch konnten wir durch Sterbeurkunden weitere Todesopfer der Zwangsarbeit der Zeche Lothringen zuordnen.
Interaktive Lagerkarte des Bochumer Bündnis gegen Rechts
Seit 2019 entwickeln und aktualisieren Mitglieder des Bochumer Bündnis gegen Rechts eine interaktive Karte der Standorte von Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiter*innen-Lagern in Bochum und Wattenscheid, um die vielen Unrechtsorte des NS-Terrors nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. In dieser Lager-Karte sind die bisher bekannten fast 200 Betriebslager verzeichnet. Sie basierte ursprünglich auf Recherchen des Bochumer Stadtarchivs und des Bochumer Katasteramtes und wurden vom Bochumer Bündnis gegen Rechts in den vergangenen 5 Jahren stetig aktualisiert. Auch die Recherche-Ergebnisse der Kohlengräberland-Geschichtswerkstatt bezüglich der Lagerstandorte der Bergbau AG Lothringen wurden hier berücksichtigt.
Ungenaue, fehlende und fehlerhafte Angaben
Sowohl die Auswertung als auch die Zusammenführung von Informationen aus den wenigen vorhandenen, weit verstreuten Dokumente der Bergbau AG Lothringen erwiesen sich als sehr schwierig. Einerseits waren die Informationen teilweise widersprüchlich, andererseits erschienen sie wegen der ungenauen, teilweise oberflächlichen Akteneintragungen oft fragwürdig.
Wir mussten auch feststellten, dass die Akteneinträge bei der zunehmenden Zahl der Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangenen im Bochumer Norden sowie im Zuge der zunehmenden Kriegswirren immer ungenauer wurden. Dies kann jedoch auch ein erschreckendes Zeugnis für die menschenverachtende, gleichgültige Behandlung und „Verwaltung“ der zwangsdeportierten Sklavenarbeiter gedeutet werden. Als ein Beleg hierfür seien die zunehmend oberflächlichen Eintragungen in die Be-stattungsbücher der Bochumer Friedhöfe genannt. Werden hier zu Beginn noch die genauen Lagerstandorte erfasst, so findet man im fortschreitenden Kriegsverlauf später zunehmend nur noch allgemeine, teils lapidare Einträge wie „Russenlager“, „Lager Lothringen“, Lager Hiltrop oder „Arbeitskommando 722 R“.
Vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Rassenideologie, die „arische Deutsche“ als „Herrenmenschen“ bezeichnete, wurden Juden, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen als „Untermenschen“ betrachtet. Sie dienten als „Menschenmaterial“ lediglich der Produktionssteigerung in der Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches. Ihre Vernichtung war beabsichtigt und wurde durch Hunger, Krankheit, Arbeit, Misshandlung und durch Arbeit in Kauf genommen.
Alte Handschriften
Zahlreiche Dokumente und Niederschriften wurden in den 1940er-Jahren häufig handschriftlich in Kurrent- oder Sütterlin-Schrift verfasst, sodass ihre „Übersetzung“ heutzutage sehr schwerfällt und zeitaufwändig ist. Die Nutzung von Schriftarten-Tabellen sind hierbei hilfreich.
Fehlerhafte Schreibweise
Ein weiteres Problem bei der Suche nach den Insassen der Lager und der Verfolgung ihrer Biographien stellt die Schreibweise ihrer Namen dar: Häufig wurden die Namen der ausländischen Zwangsarbeiter*innen von den Schreibkräften lediglich nach Gehör oder gar nach „Hörensagen“ handschriftlich oder mit deutschen Schreibmaschinen mit begrenzten Buchstabentypen notiert.
Bei komplizierter (z. B. polnischer oder kyrillischer Schreibweise) hat man die Namen häufig vereinfacht oder gar „eingedeutscht“, sodass in mehreren Dokumenten zu ein und derselben Person nicht selten verschiedene Schreibweisen vorliegen und die persönlichen Daten dann aufwändig abgeglichen und – wenn möglich – schließlich berichtigt werden müssen.
_______________________________________________________
Anmerkung der Redaktion: Zur Erinnerungs- und Gedenkkultur der Stadt Bochum
Im Jahr 2017 wurde die „Bochum Strategie 2030“ mit dem Ziel ins Leben gerufen, „Identität zu schaffen und durch eine lebendige Erinnerungskultur das Wir-Gefühl der Stadtgesellschaft zu verstärken“. „Kompetenzen“ und „Querschnittsthemen“ wurden formuliert, in der Kategorie „Hotspot der „Live-Kultur“ wurde der „Kernaktivität Erinnern statt Vergessen“ besondere Bedeutung beigemessen. Unter der Leitung des Stadtarchivs / Bochumer Zentrum für Zeitgeschichte sollte ein „übergreifendes Konzept für eine aktivierende Erinnerungskultur, die sinnhaftes Erinnern ermöglicht, geschaffen werden“. „Neue zeitgenössische Formate auf Grundlage angemessener didaktisch-methodischer Überlegungen“ seien zu entwickeln“.
Das, was sich hier eher wie das Vorwort eines Schulministeriums zum Kernlehrplan Geschichte für die Gymnasiale Oberstufe liest, klingt zwar ambitioniert, es muss jedoch auch praktisch mit Leben gefüllt werden. Seit Jahren und Jahrzehnten engagieren sich zahlreiche Schulprojekte und Initiativen der Bochumer Stadtgesellschaft für eine lebendige Erinnerungs- und Gedenkkultur. Ehrenamtlich recherchieren sie Opfer-Biographien, forschen in Archiven nach geschichtlichen Hintergründen, verlegen Stolpersteine für die Opfer der Shoah, setzen sich aktiv für die Schaffung von Gedenkorten ein, führen Mitbürger*innen bei historischen Stadtexkursionen zu den Unrechtsorten des Bochumer NS-Terrors.
Leider muss festgestellt werden, dass ihre wertvollen Erkenntnisse von der Stadt Bochum nicht im gewünschten Maße berücksichtigt werden. So ist beispielsweise bedauerlich, dass keine Liste aller Zwangsarbeitsopfer aus Bochum geführt und aktualisiert wird. Hier verweist die Stadt Bochum – 22 Jahre später – immer noch auf die Liste der Bestatteten auf dem Hauptfriedhof aus dem Jahr 2002.
Auch sucht der/die Interessierte auf der Homepage der Stadt vergeblich nach einer aktualisierten Liste der Bochumer Shoah-Opfer. Unter dem Suchbegriff „Shoah“ findet die städtische Suchmaschine keine Ergebnisse, stattdessen wird man auf einzelne Standorte jüdischen Lebens unter der Rubrik „Leidens-Wege in Bochum 1933 bis 1945“ verwiesen. Nach langer, unerfreulicher Suche stößt man hier lediglich auf einen Literaturhinweis zum „Gedenkbuch für die Opfer der Shoa aus Bochum und Wattenscheid“, das im Jahre 2000 von Manfred Keller, Hubert Schneider und Johannes Volker Wagner herausgegeben wurde.
Ambitionierte „Strategie-Konzepte“ und zukunftsorientierte Zielsetzungen einer Stadtverwaltung sind zwar ehrenwert, viele geschichtsinteressierte Bürge*innen begreifen in erster Linie jedoch Recherche und Dokumentation als Kernkompetenz und Leistungsauftrag ihres Stadtarchivs als Bochumer Zentrum für Zeitgeschichte. Man sollte das Eine tun, ohne das Andere zu unterlassen.
____________________________________________________________